Herausforderungen der Atomkraft: Tschechiens Pläne, Schwedens Kurswechsel und ökonomische Realität

Das Thema Atomkraft bleibt aktuell und wird immer wieder als Lösung für eine vermeintlich klimaneutrale Energieversorgung angeführt. So auch in Tschechien, wo kürzlich bekannt gegeben wurde, dass Angebote für den Bau von vier neuen Reaktoren eingeholt werden. Gleichzeitig gibt es europaweit genügend Beispiele, wo Pläne zum Ausbau von Atomkraft gescheitert sind und beträchtliche Kosten verursacht haben.

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Die Ankündigung, dass Tschechien nun Angebote für vier neue Atomkraftwerke einholen will, kam für viele, gerade in Deutschland, überraschend. Insbesondere, dass zwei neue Reaktoren in Temelin vorgesehen sind, hat die Besorgnis in den westlichen Nachbarländern, auch bei uns in Bayern, steigen lassen. Noch ist es nur die Einholung von Angeboten für vier Atomkraftwerke und eine Absichtserklärung über die möglichen Standorte. Trotzdem sind die Sorgen insbesondere in Ostbayern mehr als berechtigt. Ein Atomkraftwerk in Temelin ist im Falle eines größeren Unfalls auf alle Fälle eine massive Gefährdung für Leib, Leben und Eigentum – weit über den ostbayerischen Raum hinaus. Über die konkrete Gefährdung lässt sich nichts sagen, weil weder der Reaktortyp bekannt ist noch konkrete Unterlagen vorliegen. Aber für uns GRÜNE ist klar: Egal ob aus ökologischer oder ökonomischer Sicht, wir sollten dieses Vorhaben kritisch hinterfragen und öffentlich darauf aufmerksam machen.  Natürlich liegt es in der Autonomie jedes Landes, über die Nutzung von Atomkraft zu entscheiden. Dennoch sollten wir als direktes Nachbarland ernsthaft darüber nachdenken, welche Auswirkungen dies im Ernstfall für uns haben könnte. Insbesondere angesichts der aktuellen Bedrohungslage in Osteuropa stellen Atomkraftwerke eine potenzielle Gefahrenquelle dar. Während Energiepolitik in erster Linie ein nationales Thema ist, hat sie auch internationale sicherheitspolitische Relevanz.   

Hintergrund: Stromversorgung in Tschechien  
Tschechien ist energiepolitisch in einer sehr schwierigen Situation. Einerseits besteht noch historisch eine starke Abhängigkeit von russischen Energielieferungen, andererseits basiert die Stromversorgung neben den bereits bestehenden AKW zu einem großen Teil auf der Verstromung tschechischer Braunkohle. Angesichts der klimapolitischen Herausforderungen sind – trotz allen Beharrungsvermögens – die Perspektiven für die Kohlewirtschaft in Tschechien eher kurzfristiger Natur. Erneuerbare Energien wurden in den vergangenen Jahren nur spärlich gefördert.   

Siehe hier die Stromerzeugung Tschechien 2023: 

Tschechien ist seit vielen Jahren Stromexportland. Aktuell gehen etwa 15 % der Stromproduktion ins Ausland. Der größte Teil der Stromexporte fließt nach Österreich. Die Exporte nach Deutschland sind – entgegen manchen Behauptungen aus der Union – kontinuierlich gesunken, und betrugen im letzten Jahr noch 0,1 TWh (im Saldo, 100.000.000 kWh). Die Orientierung auf den Neubau von Atomreaktoren ist in Tschechien schon seit Jahren Politik und keineswegs so umstritten, wie es in Deutschland früher war. Allerdings gab es bisher nur Pläne für einen weiteren großen Atomreaktor. Selbst dessen Finanzierung war und ist weitgehend unklar. Der dominierende Stromversorger in Tschechien (CEZ) verlangte staatliche Garantien finanzieller Art für den Bau eines weiteren Reaktors.  

Nun scheinen die abgegebenen Angebote für einen weiteren Reaktor wohl zu immens hohen Preisen erfolgt zu sein. Der amerikanische Anbieter Westinghouse hat eine Absage bekommen und nun sind nur noch die französische EDF und die koreanische KHNP im Rennen. In der Hoffnung auf um 25 % reduzierte Preise wurden die beiden Anbieter nun aufgefordert, für vier Reaktoren Angebote abzugeben. Tschechische Politiker weisen aber deutlich darauf hin, dass es noch vollkommen offen sei, wie viele Reaktoren dann tatsächlich bestellt werden würden.   

Atomkraft und das nötige Geld 

In der Passauer Neuen Presse wird berichtet: „Finanzminister Zbynek Stanjura räumte im Fernsehsender CT ein, dass es sich um ein „hochriskantes Projekt“ handele, was die Finanzierung angehe. Auf die Frage, ob wirklich vier Reaktorblöcke gebaut werden sollen, sagte er: „Das bedeutet nicht, dass sie gebaut werden, aber es bedeutet auch nicht, dass sie nicht gebaut werden.“ Die Wirtschaftszeitung „Hospodarske noviny“ merkte bereits an: „Ausgerechnet der pro-nukleare Eifer der Regierung erhöht das Risiko, dass in Tschechien am Ende gar nichts errichtet wird.“  

Gerade durch die Krisen der letzten Jahre ist die Staatsverschuldung in Tschechien im Jahr 2022 auf ein Rekordniveau von 120 Milliarden Euro gestiegen. Ein deutliches Licht auf die Finanzprobleme wirft ein Blick auf die Reaktorprojekte des französischen Anbieters EDF/Areva (inzwischen fusioniert), die dieser seit Jahren realisiert. In aller Kürze:  

  • Olkiluoto 3 in Finnland: Baubeginn 2005, geplante Fertigstellung 2009, tatsächliche Inbetriebnahme 2023, Kosten geplant 3 Mrd. Euro, real 11 Mrd. Euro.  

  • Flamanville 3 in Frankreich: Baubeginn 2007, geplante Fertigstellung 2012, nun vorgesehene Inbetriebnahme 2024, Kosten geplant 3,3 Mrd. Euro, real wohl 13,3 Mrd. Euro.  

  • Hinkley-Point C in Großbritannien (Doppelblockanlage): Baubeginn 2018, geplante Inbetriebnahme 2025, aktuell früheste Inbetriebnahme des ersten Blocks 2031, Kosten geplant 21 Mrd. Euro, aktuell bei 38 Mrd. Euro. Der Reaktor wurde nur möglich, weil es eine staatliche Strompreisvergütung in Höhe von 14 Cent/kWh gibt. Ein chinesischer Investor hat in den letzten Monaten seinen Rückzug aus dem Projekt erklärt.  

Schweden nimmt stillschweigend Abstand von Atomkraft-Expansionsplänen  

Schweden, das auch heute noch einen erheblichen Teil seines Stroms aus Atomkraft bezieht, erlebt einen Richtungswechsel in seiner Energiepolitik. Trotz der Ankündigung der schwedischen Regierung, bis 2040 mindestens zehn neue Atomkraftwerke zu bauen, wurde diese Entscheidung laut "The Telegraph" stillschweigend zurückgenommen, nachdem Umweltministerin Romina Pourmokhtari offenbar ihre Befugnisse überschritten hatte. Ursprünglich sollte der Ausbau aufgrund der Klimakrise geschehen, doch nun wird die Notwendigkeit neuer Reaktoren aufgrund des starken Ausbaus der Windenergie und der bereits hohen Abdeckung des Energiebedarfs durch erneuerbare Energien in Frage gestellt. Hinzu kommen technische Probleme, wie beispielsweise das Atomkraftwerks Oskarshamn 3 zeigt, das aufgrund eines Pumpenproblems nicht mit voller Leistung betrieben werden kann. Dass der Ausbau von Atomenergie nötig sei, um die Klimaziele zu erreichen, wird von Expert:innen in Schweden angezweifelt.  

Zusammengefasst:  

Rein ökonomisch ist die Situation für neue Atomkraftwerke in Tschechien alles andere als günstig. Aber leider gilt auch hier: Angesichts der verschlafenen Energiewende und dem unzweifelhaften Ende der Braunkohle ist ein Drang zu finanziell aberwitzigen oder illusorischen Projekten nicht auszuschließen. Darum ist ein frühzeitiger Protest und eine Kooperation bei Energiewendeprojekten enorm wichtig.   

 

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