„Neuer Diesel-Skandal: 107 Lungenärzte können nicht rechnen“

Diese Schlagzeile prangte in großen Lettern am 14.02.19 auf der Titelseite der Berliner Tageszeitung „taz“. Sie fand heraus, dass dem Lungenarzt Köhler gleich mehrere eklatante Rechenfehler unterlaufen sind, „so gravierend, dass er teilweise das Gegenteil dessen beweist, was er aussagen wollte.“ 

Foto CC0 © Snap_it; pixabay.com

Dem Aufmacher der taz war im Januar 2019 eine Stellungnahme des Arztes und Wissenschaftlers Dieter Köhler vorausgegangen, in der er die in europäischen Innenstädten geltenden Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub als falsch und viel zu hoch kritisierte. Das Schreiben Köhlers, das umgehend und quer durch alle Medien für große Aufregung sorgte, hatten 112 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, darunter 107 Lungenärzte, unterzeichnet.

Köhler behauptete, die Grenzwertdosen seien „jenseits jeder Gefährlichkeit“ und die Debatte über Schadstoff-Grenzwerte für deutsche Städte sei gekennzeichnet von „extremer wissenschaftlicher Unsachlichkeit“. (1)

Wie sehr das Thema Schadstoffe und Diesel-Fahrverbote den Nerv vieler Bundesbürger trifft, zeigte sich an der enormen medialen Aufmerksamkeit, die Köhler nach der Veröffentlichung seines Papiers zu Teil wurde. Nicht nur schaffte er es mit seinen Thesen auf die erste Seite vieler Zeitungen, er wurde auch in zahlreiche Talk-Shows eingeladen.

War die Aufregung über die in vielen deutschen Innenstädten gemessene hohen Feinstaub- und Stickoxid-Werte also völlig unnötig? Gibt es am Ende gar keine Gesundheitsgefährdung der Stadtbewohner durch Diesel-PKWs?

Schauen wir auf die Fachwelt: sie reagierte auf die Thesen Köhlers mit Kopfschütteln und heftiger Kritik: das Positionspapier der Lungenärzte entbehre „jeglicher wissenschaftlichen Grundlage und argumentativer Kohärenz“, so Prof. Nino Künzli vom Schweizerischen Tropen und Public Health Institut in Basel gegenüber der taz. Die geltenden Grenzwertempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO „beruhen auf der gesamten weltweit verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz zu den Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit“, so Künzli weiter. (2)

Und auch der grundlegende Ansatz in Köhlers Papier, der Vergleich der Atemluft in Innenstädten mit dem Schadstoffgehalt von Zigarettenrauch sei absolut unseriös, so Wolfgang Straff, Mediziner und Abteilungsleiter für Umwelthygiene beim Umweltbundesamt. (3)

Wie kam es denn überhaupt zu der Stellungnahme der Lungenärzte? Dr. Köhler und seine drei Co-Autoren verschickten ihr Papier an 3.800 (!) Mitglieder der Pneumologie-Gesellschaft mit Bitte um Unterstützung. Ganze 112 der 3.800 Angeschriebenen unterzeichneten den Text.

Und scheinbar hat auch keiner der Unterzeichner nachgerechnet: wie die taz herausfand und am 14.02.19 publizierte, unterliefen Köhler gleich mehrere eklatante Rechenfehler. Diese seien „so gravierend, dass er teilweise das Gegenteil dessen beweist, was er aussagen wollte.“ (4)

ZEIT online fasste den Ansatz Köhlers am 13.02.19 wie folgt zusammen: „Köhler hatte behauptet, wer an einer viel befahrenen Straße wohnt und 80 Jahre alt wird, atme während seines Lebens nur so viel Stickoxide ein wie jemand, der einige Monate eine Packung Zigaretten am Tag raucht. Laut taz ist die Belastung aber eigentlich so hoch wie bei jemandem, der sechs bis 32 Jahre lang diese Menge raucht – je nach angenommenem Anteil von Stickstoffdioxid am Stickoxid. Die Zeitung weist darauf hin, dass Köhler offenbar ein Fehler unterlief, als er den NO2-Wert einer Zigarette auf den einer Schachtel hochrechnete. Der Arzt bestätigte seinen Rechenfehler. Viele Wissenschaftler halten es ohnehin für problematisch, eine dauerhafte Belastung durch Stickoxide in der Luft mit der kurzfristigen Spitzenbelastung bei Raucherinnen und Rauchern zu vergleichen.“ (5)

Vom Redakteur der taz auf seine haarsträubenden Fehler hingewiesen, meinte Köhler lapidar: „Ich mache ja praktisch alles allein und habe nicht einmal mehr eine Sekretärin als Rentner.“ (6)

Aber Köhlers krude Thesen waren draußen, unhinterfragt publiziert von „Bild“, „Welt“ und vielen anderen Medien. Auch die Politik, allen voran Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), sprang sofort auf das Thema an. Scheuer forderte von der EU-Kommission eine Neubewertung der Grenzwerte. Auch nach Bekanntwerden von Köhlers Fehlern blieb der Minister bei seiner Position und meinte, die Berechnungen Köhlers hätten „einen Impuls zur Debatte über die europäischen NOx-Grenzwerte gesetzt“. (7)

Die Antwort der drei zuständigen EU-Kommissare war dann eine „Ohrfeige für Scheuer“(8)

Man habe, so die EU-Kommissare, „zur Kenntnis genommen, dass wichtige Berechnungen im Zusammenhang mit diesen Behauptungen in der Zwischenzeit als fehlerhaft erkannt worden sind.“ (9)Die Erkenntnisse, auf die sich die EU-Behörden berufen würden, seien im Gegensatz zu den Berechnungen Köhlers „fachlich geprüft“ oder „umfassend durch Experten begutachtet.“ (10)

Und Brüssel weiter: Gemeinsames politisches Ziel der EU-Staaten sei „ein Europa, das die Menschen vor Luftverschmutzung schützt.“ Der deutsche Verkehrsminister musste sich darauf hinweisen lassen, dass die EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam die rechtliche Verpflichtung beschlossen hätten, die Grenzwerte für die Luftqualität einzuhalten.

Die Grünen im Bundestag sehen in der Geschichte nunmehr ein massives Problem für Scheuer: "Ich bin noch immer fassungslos, welche politische Karriere diese Luftnummer genommen hat und dass sie vom Verkehrsminister Scheuer übernommen wurde", sagte Fraktionsvize Oliver Krischer. "Das fällt jetzt auf ihn zurück." (11)

Wir Grünen fordern für das emotional so unglaublich aufgeladene Thema Diesel-Fahrverbote und Schadstoffbelastung in unseren Städten endlich eine Rückkehr zu faktenbasierter Politik. 

Unter https://www.gruene.de/themen/klima-schuetzen/sauber-autofahren-ab-2030.html finden Sie unsere klare Haltung hierzu: „Der EU-Grenzwert für Stickstoffdioxide (NO2) von 40 Mikrogramm/m³ ist eher zu lasch als zu streng. NO2 in der Umgebungsluft ist bei den heute vorkommenden Konzentrationen gesundheitsschädlich. Zu diesem Ergebnis kommt die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihren Luftqualitätsrichtlinien von 2005 und die US-amerikanische Umweltbehörde EPA, die ihre aktuellen Schlussfolgerungen von 2016 mit mehr als 1600 wissenschaftlichen Studien aus der ganzen Welt belegt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie, die feststellt: "Eine weitere deutliche Reduktion der Luftschadstoffbelastung ist geboten und eine Absenkung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich." 

Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse sind Grundlage geltender Gesetze. Dass jetzt die Aussetzung des Grenzwertes gefordert wird, ohne auch nur einen wissenschaftlich fundierten Gegenbeweis zu bringen, offenbart, dass es sich nur um ein Ablenkungsmanöver handelt.“ (12)

Quellen:

1)taz v. 14.02.19, „Lungenarzt mit Rechenschwäche“, S. 4

2) ebd.

3) ebd.

4) ebd.

5) https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2019-02/grenzwerte-debatte-stickoxid-dieter-koehler-fehler-fahrverbote, 13. Februar 2019, 20:58 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, sög

6) taz v. 14.02.19, „Lungenarzt mit Rechenschwäche“, S. 5

7) taz v. 18.02.19, online 19.03.19: Lungenarzt und Rechenfehler: „Irrungen und Wirrungen“

8) SZonline v. 13.03.19, 05:16 Schadstoffe: „Ohrfeige für Scheuer“

9) ebd.

10) ebd.

11) https://www.tagesschau.de/inland/lungenarzt-koehler-101.html,Stand: 14.02.2019, 18:27 Uhr

12) Homepage Bündnis 90/Die Grünen am 20.03.19: https://www.gruene.de/themen/klima-schuetzen/sauber-autofahren-ab-2030.html  am 20.03.19, 12:30 Uhr

Link zu dem taz-Artikel vom 14.02.19, „Lungenarzt mit Rechenschwäche“: https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5572843&s=k%C3%B6hler%2Bstickoxide/


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