Ein Jahr Pariser Klimabeschlüsse: Wo steht Bayern?

Martin Stuempfig bei der Pressekonferenz am 9.11.16

Ein Jahr ist seit den Pariser Klimabeschlüssen vergangen, heute beginnt die nächste UN-Klimakonferenz in Marrakesch. Während die Bundesregierung noch um die Gestaltung eines deutschen Klimaschutzplans ringt, ist die CSU-Regierung in einen klimapolitischen Dornröschenschlaf gefallen. Umweltministerin Scharf begnügt sich in ihrer Tatenlosigkeit damit, auf die drastischen Folgen hinzuweisen, doch es gilt die Ursachen in Angriff zu nehmen.

Auf der Pressekonferenz der Landtags-Grünen habe ich vorgestellt, was jetzt in den Bereichen Strom, Wärme, Verkehr und Landwirtschaft zügig angegangen werden muss, wo im Doppelhaushalt der CSU-Regierung Ansätze fehlen und welche Schwerpunkte wir Grüne setzen, damit Bayern nicht als Schlusslicht beim Klimaschutz endet.   

Seit drei Tagen findet in Marrakesch die 22. Klimakonferenz statt. Jetzt geht es darum, die Pariser Beschlüsse vom letzten Jahr in konkrete Pläne umzusetzen. Der mutige Beschluss, die Erderwärmung auf 2 °C oder sogar auf 1,5 °C zu reduzieren, muss nun in genauen Handlungen münden. In vielen Ländern der Erde sind nach Paris wichtige Schritte unternommen worden, die Ratifizierung ist schneller erfolgt als ursprünglich geplant: Norwegen will bis 2030 klimaneutral werden. In den USA boomt die Windenergie (75.000 MW bereits installiert, weitere 14.000 MW in Bau, systematische Stilllegung Kohlekraftwerke). China hat die Planung des Neubaus von Kohlekraftwerken mit einer Kapazität von 114.000 MW zurückgenommen. Erneuerbare Energien boomen in Schwellenländern wie Indien und China in ungeahntem Ausmaß.

Beschämend dazu ist die Situation in Deutschland.

Nach einem Jahr Beteiligungsprozess legte Umweltministerin Hendricks im Sommer 2016 ihren Entwurf für einen deutschen Klimaschutzplan vor: Dieser Plan war nicht ehrgeizig, enthielt aber wenigstens konkrete Ziele. Was seither passiert ist, ist mehr als entwürdigend. Wirtschaftsminister Gabriel stutzte den Plan deutlich zusammen und legte den Kohleausstieg ad acta, mit Unterstützung von Kanzleramtsminister Altmaier. Die CSU-Minister Dobrindt und Schmidt haben nun auch noch sämtliche wirksamen Klimamaßnahmen im Verkehrs- und Landwirtschaftsbereich gestrichen.

Kein Umdenken in Bayern

Die CSU-Umweltministerin Scharf ist im Bereich Klimaschutz schon lange abgetaucht. Die Regierungserklärung im Dezember 2015 glich einer Kapitulation: Umfangreich wurden die Folgen des Klimawandels für Bayern beschrieben - doch zur Reduzierung der Treibhausgase fiel kein einziges Wort.

Dabei haben gerade die letzten drei Jahre gezeigt, dass die Folgen des Klimawandels zunehmend unkalkulierbarer werden. 2014 und 2015 waren global die wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Es ist absehbar, dass 2016 ein neues Rekordjahr wird. In Bayern erlebten wir dieses Jahr, nach der extremen Trockenheit 2015, spontane, lokal begrenzte Hochwasserereignisse, die in dieser Form bisher unbekannt waren. Der Landtag diskutiert über Hilfen für Opfer und Versicherungen. Aber wir müssen endlich vor der eigenen Haustür kehren und bei den Ursachen der Erdüberhitzung ansetzen.

Realitätsgerechte Klimaschutzziele für Bayern

Laut CSU-Regierung werden pro Kopf in Bayern etwa sechs Tonnen COâ‚‚ als energiebedingte Treibhausgasemissionen ausgestoßen. Die nicht-energiebedingten Emissionen (z.B. aus Landwirtschaft und industrieller Produktion) werden gar nicht erst erwähnt. Die CSU-Regierung will bis 2050 zwar zwei Tonnen pro Kopf erreichen, aber bis 2030 soll nur eine Reduktion auf fünf Tonnen COâ‚‚ pro Kopf geschafft werden! Das heißt: Reduktion um eine Tonne innerhalb von 15 Jahren und anschließend Reduktion um drei Tonnen innerhalb von 20 Jahren. Dabei ist allgemein bekannt, dass Einsparungen anfangs noch einfach sind, mit zunehmender Steigerung aber schwieriger werden. Aus diesen Gründen ist der Ansatz der CSU-Regierung unrealistisch und verschiebt den Klimaschutz auf die nächste Generation.

Neben den energiebedingten COâ‚‚-Emissionen werden im Bereich der Landwirtschaft noch 23 Millionen Tonnen jährlich emittiert, dies entspricht rund einem Viertel der Gesamtemissionen. Somit ergeben sich pro Kopf COâ‚‚-Gesamtemissionen von 8,3 Tonnen. Um bis 2050 diese Emissionen auf zwei Tonnen COâ‚‚ pro Kopf zu reduzieren, müssen jährlich knapp 0,2 Tonnen an Gesamtemissionen eingespart werden (im Bereich der energiebedingten COâ‚‚-Emissionen sind es mindestens 0,15 Tonnen pro Jahr). Deshalb: Reduktion auf 5,7 Tonnen pro Kopf bei den Gesamtemissionen und vier Tonnen pro Kopf bis 2030 für die energiebedingten COâ‚‚-Emissionen.

Klimaschutz muss auch im Haushalt sichtbar sein!

Die CSU-Regierung hat im vorliegenden Doppelhaushalt 2017/18 nahezu keine Gelder für den Klimaschutz eingestellt. Im Bereich der Landwirtschaft gibt es lediglich ein Mini-Moor-Renaturierungsprogramm. Im Bereich der Wärmewende werden die Gelder für die staatlichen Bauämter zurückgefahren und dafür Ölheizungen gefördert. Im Strombereich sind keine Einsparungsinitiativen vorgesehen. Und im Verkehrsbereich wird noch immer auf die Straße und viel zu wenig auf die Schiene gesetzt.

Wir Landtags-Grüne haben ein modulares Klimaschutzkonzept beschlossen. In den vier Bereichen Strom, Wärme, Verkehr und Landwirtschaft haben wir die Situation in Bayern analysiert und konkrete Vorschläge erarbeitet. Wir haben in unserem ausgeglichenen Haushalt den Klimaschutz priorisiert und bringen die wichtigsten finanzwirksamen Maßnahmen als Haushaltsanträge in den Landtag ein - denn Ordnungsrecht alleine genügt nicht beim Klimaschutz.

Mit zusätzlich mehr als 300 Millionen € verdreifachen wir im Vergleich zu den Ausgaben der Staatsregierung die Klimaschutzinvestitionen in Bayern. Dabei setzen wir aber andere Akzente und leiten konkrete Klimaschutzmaßnahmen ein. Schwerpunkt ist der Wärmebereich, da hier die meisten Treibhausgasemissionen entstehen.

Klimaschutz im Strombereich

Obwohl der Strombereich in Bayern nur für 12 Prozent der gesamten COâ‚‚-Emissionen verantwortlich ist, ist die bayerische Situation im Strombereich auf ihre Art besonders dramatisch. Die CSU-Regierung schaut apathisch auf die herannahenden Veränderungen und verharrt in Schockstarre. Die Sonnenenergie hat in den vergangenen Jahren einen beispiellosen Niedergang erlebt. Das neue Ausschreibungsverfahren für große Solaranlagen bevorzugt Standorte in Ostdeutschland. Der Zubau in Bayern ist eingebrochen. Das Gleiche bei der Windenergie: Die 10H-Regelung zeigt die befürchtete Entwicklung, es werden praktisch keine neuen Genehmigungsanträge für Windkraftanlagen mehr gestellt. Wirtschaftsministerin Aigner hat sich offensichtlich damit abgefunden, dass in zehn Jahren möglicherweise die Hälfte des Stroms, der in Bayern gebraucht wird, importiert werden muss. Welcher Strom dann importiert wird, ist Frau Aigner egal - der Kohleausstieg in Deutschland ist nicht ihr Thema.

Wir brauchen eine Rückkehr zur Energiewende. Erneuerbaren Energien muss - im wörtlichen Sinn - wieder Platz geschaffen werden. Wir wollen in den kommenden Jahren erreichen:

  • Zubau bei der Windenergie von 1 TWh pro Jahr
  • Zubau bei der Sonnenenergie von 1 TWh pro Jahr
  • Jährliche Stromeinsparung von 1 TWh pro Jahr

Dazu kommt: Atom- und Kohlekraftwerke schneller abschalten, zugunsten eines Ausbaus der Erneuerbaren Energien. Der dreckige Strom verstopft die Stromnetze und verhindert oft Einspeisung und Transport von Strom aus EE.

Wir brauchen Förderprogramme für

  • fischfreundliche Technologien bei der Wasserkraft
  • kleine Blockheizkraftwerke
  • für Smart-Grid-Projekte
  • den Austausch von Stromfressern bei einkommensschwachen Haushalten
  • einen selbstverständlichen Platz der Photovoltaik auf staatlichen Gebäuden.

Klimaschutz im Wärmebereich

Über ein Drittel unserer gesamten COâ‚‚-Emissionen stammt aus dem Wärmebereich. Wichtigste Aufgabe ist eindeutig eine Sanierung der bestehenden Gebäude. Für einen wirksamen Klimaschutz müssen jedes Jahr ca. drei Prozent der Gebäude energetisch saniert werden. Seit Jahren passiert dies nur bei einem Prozent. Die aktuell niedrigen Ölpreise bieten wenig ökonomischen Anreiz. Die Bundesregierung versagt bei der versprochenen steuerlichen Abschreibung und die CSU-Regierung fördert mit dem 10.000-Häuser-Programm sogar noch den Einbau von neuen Ölheizungen mit Zuschüssen.

Für den Klimaschutz im Wärmebereich brauchen wir eine Initiative von unten und eine Verankerung in den Kommunen und Landkreisen:

  • Klimaschutzmanager in allen größeren Kommunen ("Kümmerer") und Energieagenturen auf Landkreisebene (informieren, motivieren Bevölkerung, regionale Unternehmen, Betriebe, kommunale Verwaltung)
  • Aufbau von Nahwärmenetzen in Form von kommunalen Wärmeplattformen (bieten Möglichkeiten Wärmeeinspeisung/-entnahme in überschaubaren Gebiet)
  • Energetische Sanierung staatlicher und kommunaler Gebäude (Großer Sanierungsrückstau ist klimaschädlich und belastet Haushalt unnötig, da sich Kosten innerhalb einiger Jahre amortisieren)
  • Bayerisches Erneuerbaren-Energien-Wärmegesetz (nach Vorbild Baden-Württemberg, unterstützt Einsatz von EE im Wärmebereich bei allen Sanierungen, überfordert Hausbesitzer nicht, schafft Einstieg in neue Technologien für Effizienz und EE)

Klimaschutz im Verkehrsbereich

Knapp ein Drittel unserer gesamten COâ‚‚-Emissionen stammt aus dem Verkehrsbereich. Bei den CSU-Verkehrspolitikern ist die Klimaproblematik noch gar nicht angekommen, wie die geplanten Straßenbauorgien im Bundesverkehrswegeplan oder die neue Debatte um die 3. Startbahn am Münchner Flughafen zeigen. Grotesk ist die EU-Debatte um die Nichtzulassung von Verbrennungsmotoren im PKW-Bereich ab 2030. Unmöglich seien 14 Jahre Übergangszeit für die Automobilkonzerne tönt es aus der Branche und dem Verkehrsministerium. Wenige Tage später fordert China für alle in China ansässigen Automobilfirmen eine feste Quote von Elektroautos bereits ab 2018. Vor lauter Bestandsschutz verschläft die deutsche Automobilindustrie die Zukunft.

Was es braucht:

  • Umstieg von fossilen Verbrennungsmotoren auf andere erneuerbare Antriebstechniken (klare, eindeutige, verlässliche Rahmenbedingungen, klare Terminsetzung)
  • Alternativen zum PKW, mehr Mittel für ÖPNV im ländlichen Raum und Radverkehr, insbesondere Ausbau Radwege

Klimaschutz in der Landwirtschaft

Bei Landwirtschaft und Ernährung können die Treibhausgasemissionen, die rund ein Viertel der gesamten COâ‚‚-Emissionen betragen, nicht vollständig vermieden werden. Aber es gibt dennoch vielfältige Möglichkeiten auch hier COâ‚‚ zu reduzieren:

  • Stärkere Förderung des klimafreundlichen Öko-Landbaus durch Unterstützung bei Umstellung von Betrieben und Vermarktung von Bio-Lebensmitteln (Denn durch Verzicht auf Futtermittelimporte und Kunstdünger und den geringeren Viehbestand reduzieren sich die Treibhausgase erheblich)
  • Renaturierung der Moore durch Rückbau der Entwässerungssysteme und Anhebung des Wasserspiegels (Moore sind Kohlenstoffspeicher, durch landwirtschaftliche Nutzung wird viel Jahrtausende lang gebundenes COâ‚‚ freigesetzt, bisherige Maßnahmen CSU-Regierung vollkommen unzureichend)

Fazit

Bayern kann und muss mehr für den Klimaschutz tun. In den verschiedenen Bereichen gibt es ein ganzes Bündel von Aufgaben. Es ist vollkommen unzureichend, wenn sich die CSU-Umweltministerin nur um Schadensregulierung kümmert. Es muss aktiv gegen Emissionen vorgegangen werden - vom Umweltministerium und den anderen Ministerien. Nur durch aktives Handeln in allen klimarelevanten Bereichen kann die Erwärmung auf 2° C begrenzt werden:

  • Ende der Blockade der Windenergie
  • Wiederbelebung der Photovoltaik
  • Konkretes Angehen der Stromeinsparung
  • Kommunale Klimaschutzmanager als Katalysator für die Wärmewende
  • Keine Förderung neuer Ölheizungen
  • Energetische Sanierung staatlicher und kommunaler Liegenschaften
  • Einläuten Ende der PKW-Verbrennungsmotoren
  • Ausbau Radverkehr und ÖPNV
  • Unterstützung Ökolandbau
  • Zügige Renaturierung Moore

9. November 2016 Martin Stümpfig, MdL, energie- und klimapolitischer Sprecher Bündnis90/Die Grünen im Bayerischen Landtag


Im Dialog

©Foto: Manuel Schuller
©Foto: Manuel Schuller

Wirtschaft

Im ständigem Austausch mit den Unternehmer*innen in Bayern erfahre ich welche Fragen, Anregungen und Wünsche an die Politik gestellt werden und wie wir sie unterstützen können.

mehr dazu
©Foto: Andreas Gebert

Vor Ort

Wichtig ist mir mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, mit ihnen zu diskutieren und von ihnen Anregungen für meine parlamentarische Arbeit im Landtag mitzunehmen.

mehr dazu
Martin Stümpfig in Freuchtwangen
© Foto: Wolf Kehrstephan

Region

Ich bin in Feuchtwangen, im Landkreis Ansbach aufgewachsen – hier bin ich verwurzelt, hier achte ich darauf, dass die Interessen der Bürgerinnen und Bürger im Landtag vertreten sind .

mehr dazu

Das könnte Sie auch interessieren