Der Atomausstieg ist erst zur Hälfte vollzogen

Am 11. März jährt sich die Atomkatastrophe von Fukushima zum 10. Mal. Sie hat uns vor Augen geführt welche gravierenden Folgen fehlgeleitete Energiepolitik für immer hat. Sie ist der größte Irrtum unserer Industriegeschichte.

©Foto CC0:Christian_Fischer_wikipedia

Wenige Tage nach den dramatischen Ereignissen in Fukushima am 11. März 2011 vollzog die schwarz-gelbe Bundesregierung in der Atompolitik eine 180°-Kehrtwende. Noch sechs Monate vorher hat die Bundesregierung die Laufzeiten aller 17 Atomkraftwerke jeweils um 8 bis 14 Jahre verlängert und der damalige Umweltminister Norbert Röttgen versprach eine „Energierevolution“. Diese Energierevolution kollabierte zusammen mit den Reaktoren von Fukushima. Wenige Tage nach Fukushima wurden sieben AKW „vorläufig stillgelegt“, gingen dann aber nie mehr in Betrieb. 

Der öffentliche Druck wurde immer größer. Nach 58 Jahren CDU-Herrschaft wurde Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten gewählt. Im Sommer 2011 ruderte die Regierung endgültig zurück und legte ein Gesetz vor, das sich relativ stark am rot-grünen Atomausstieg aus dem Jahr 2000 orientierte.

Von den damaligen 17 Atomkraftwerken in Deutschland sind mittlerweile 11 Reaktoren abgeschaltet. Die nächsten drei Reaktoren (darunter in Bayern der Siedewasserreaktor Gundremmingen C) sind Ende des Jahres zur Abschaltung fällig und die letzten drei (darunter in Bayern Isar II) werden Ende 2022 das Ende der Atomstromproduktion in Deutschland besiegeln.

Auch wenn bereits 11 Reaktoren stillgelegt wurden: die Atomstromproduktion ist nur um gut die Hälfte zurückgegangen, weil zunächst Reaktoren stillgelegt wurden, die ohnehin überaltert oder nicht mehr im betriebsfähigen Zustand waren oder relativ klein waren. Atomstrom stellt momentan etwa ein Achtel der deutschen Stromversorgung und dieser Anteil fällt in den kommenden 20 Monaten zum Glück endlich weg.

Alte Atomkraftwerke sind ein besonderes Problem

Atomkraftwerke werden mit zunehmendem Alter störanfälliger. Das liegt in der Natur der Sache, wie wir es z.B. auch von Autos kennen. Verschleißerscheinungen und Materialermüdungen führen zu Problemen, die vorher nicht aufgetaucht sind. Dazu kommt ein klassisch betriebswirtschaftlich ökonomisches Verhalten: Wer investiert noch in die Sicherheit einer Anlage, die in wenigen Monaten stillgelegt wird?

Besondere Sorge macht uns Gundremmingen C. Er ist der älteste Reaktor in Deutschland, der letzte - von insgesamt 10 - Siedewasserreaktoren, der noch in Betrieb ist und er zeigt deutliche Schwächen: Undichte Brennelemente führen immer wieder dazu, dass der Reaktor abgeschaltet werden muss. Im letzten Jahr kam er deswegen nur auf 77 % Volllaststunden, das schlechteste Ergebnis aller deutschen Reaktoren. Das Verhalten von RWE in Gundremmingen mag ökonomisch verständlich sein, aber es steigert das Risiko für uns alle! Und gerade an den undichten Brennelementen sehen wir, dass sich die Bayerische Atomaufsicht seit Jahren nicht wirklich um dieses Phänomen kümmert und den Betreibern weitgehend freie Hand lässt.

Auch in unserer direkten Nachbarschaft sind noch Reaktoren am Netz, die vollkommen überaltert sind. Tihange in Belgien zum Beispiel. Tihange liegt in der rheinischen Erdbebenzone, einem der seismisch aktivsten Gebiete Mitteleuropas.

Ein guter Bericht dazu auch in der ZEIT https://www.zeit.de/2021/10/atomkraft-fukushima-ausstieg-klimaschutz-china-kohle/seite-5

Es bleibt inständig zu hoffen, dass wir keinen großen Unfall bis Ende 2022 erleben werden. Aber damit ist das Atomkapitel noch lange nicht erledigt.

Atommüll: weit verstreut im Land

16 Hallen mit hochradioaktiven Abfällen gibt es in Deutschland. Die meisten sind schon gut gefüllt mit Atommüll und werden in den nächsten Jahren noch voller werden. Denn in vielen Reaktoren liegen noch abgebrannte Brennelemente im sogenannten Nasslager. Dort müssen sie erst noch abkühlen, damit sie überhaupt in Castoren verpackt werden können. 

Die Sicherheit dieser Lager ist umstritten. In Brunsbüttel wurde die Genehmigung höchstrichterlich aufgehoben. An anderen Standorten war das aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich. Die Gefahren sind aber die gleichen, teils sogar größer. Es ist ein offenes Geheimnis: die Sicherheit der Zwischenläger ist immer weniger gewährleistet. Die Waffentechnik von panzerbrechenden Waffen entwickelt sich fort, Flugzeugabstürze wurden nicht für alle möglichen Fälle berechnet. Während sich also mögliche terroristische Bedrohungen eher verstärken, werden nach und nach Materialermüdungen auftreten. Doch das bayerische Umweltministerium, als Atomaufsicht für die drei bayerischen Zwischenläger zuständig, schweigt dazu. Es wäre die Aufgabe von Umweltminister Glauber hier für höchstmögliche Sicherheit zu sorgen.

Dazu kommt: die Genehmigungen sowohl für die Castoren wie für die Hallen sind befristet. Keiner weiß, was in den Castoren passiert, bis die Genehmigungen in den 2040er Jahren auslaufen. Aber alle wissen, dass das Endlager dann nicht zur Verfügung stehen wird. Was dann mit den Zwischenlagern und mit den Castoren passieren soll wird vertagt und vertagt.

Aber es ist nicht nur der hochradioaktive Abfall, der Probleme bereitet. Durch den Abriss von Atomkraftwerken entstehen große Mengen schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Auch dafür steht noch kein Endlager zur Verfügung. Der geplante Schacht Konrad verzögert sich weiter und es ist heute schon absehbar, dass dort nicht aller schwach- und mittelaktiver Müll aufgenommen werden kann. Weil aber die Atomkonzerne ihre Anlagen möglichst schnell abreißen wollen, werden überall neue Zwischenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle gebaut – aber beschönigend „Bereitstellungshalle“ genannt. Angeblich stehen dort die Atommüllfässer zum Abtransport bereit, aber niemand weiß, wann und wohin.

Der mühsame Weg zu einem möglichst sicheren Endlager

Es ist ein großer Erfolg der Grünen, dass im Jahr 2013 das Thema Endlagerung der abgebrannten Brennelemente in Deutschland endlich auf eine vernünftige Basis gestellt wurde. Der ehemals geplante Standort Gorleben war immer eine politische Entscheidung für den Landkreis Lüchow-Dannenberg, der am dünnsten besiedelt war und der in unmittelbarer Grenznähe zur DDR lag.

Mit der Endlagerkommission und dem Standortauswahlgesetz haben wir nun endlich ein transparentes und wissenschaftsbasiertes Endlagersuchverfahren geschaffen. Auch wenn es Zeit braucht, wir stehen dazu, dass eine so schwierige Entscheidung gründlich und offen diskutiert wird. Leider verweigert sich die Bayerische Staatsregierung dieser Diskussion weitgehend: Nach kurzer Diskussion bei den Koalitionsverhandlungen hat man die Nichteignung Bayerns einfach in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Damit brüskieren CSU und Freie Wähler alle, die für ein wissenschaftsbasiertes vergleichendes Verfahren sich engagieren. Wir sind zuversichtlich, dass sich auch die Bayerische Staatsregierung noch dieser Diskussion stellen muss und wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sich aktiv – aber mit Argumenten daran zu beteiligen

Atomkraft um uns herum:

Wenn wir in unsere Nachbarländer schauen, dann sehen wir, welche großen Schritte wir in Deutschland dank einer starken Anti-Atom-Bewegung und dank der Grünen geleistet haben. Nirgends wurde der Atomausstieg so konsequent vorangetrieben wie in Deutschland. Immer wieder gehen Reaktoren aus Altersgründen vom Netz, ob in der Schweiz oder in Schweden, in Frankreich oder in Großbritannien. Bestrebungen neue Atomkraftwerke zu bauen gibt es nur in ganz wenigen osteuropäischen Ländern. Und auch dort werden die Entscheidungen über Neubaupläne häufig vertagt.

Allerdings sehen wir mit Sorge, dass in vielen Nachbarländern, die Laufzeiten der Altanlagen mit ein paar Beschlüssen einfach verlängert werden. Oft aus der Not heraus, weil die Erneuerbaren Energien nicht ausgebaut wurden. Das ist ein Grund, warum die erfolgreiche Anti-Atom-Politik zwingend mit einer erfolgreichen Energiewendepolitik einhergehen muss, und zwar auf europäische Ebene.

Die Schlupflöcher der Atomindustrie

Für die Atomwirtschaft war mit Fukushima die Lage nach wenigen Monaten klar: Atomkraftwerke sind in Deutschland nicht mehr durchzusetzen. Aber trotz Atomausstiegsbeschluss ist es ihr gelungen, sich noch ein paar Geschäftsmodelle zu sichern. Noch immer wird in Deutschland Uran verarbeitet und werden in der niedersächsischen Stadt Lingen, in einer Fabrik der Firma Advanced Nuclear Fuels, eine Tochter des französischen Konzerns Framatome, Brennelemente für den Export produziert. Der fertige Brennstoff wird exportiert, unter anderem in Hochrisikoreaktoren nach Belgien, nach Doel und Tihange.

Bis heute verweigert sich CDU/CSU die Fabrik in Lingen und andere Zulieferbetriebe der Atomindustrie zu schließen. So wird im Atomausstiegsland Deutschland weiterhin mit Atomkraft Geld verdient und das Geschäft mit der strahlenden Gefahr blüht im Verborgenen. Auch die Forschung an neuen Sicherheitstechnologien für Atomkraftwerke ist noch nicht beendet. So gibt es beispielsweise in München immer noch einen Lehrstuhl dazu, auch wenn die Anzahl der Studierenden dort angeblich an zwei Händen abzuzählen sind. Und dann gibt es immer noch die seit vielen Jahrzehnten gepflegte und mit vielen Milliarden geförderte Hoffnung auf die Kernfusion. 

Ausblick

Es gibt also auch nach 2022 noch einiges zu tun, um den Atomausstieg zu vollenden. Und es ist Zeit die Erneuerbaren Energien endlich voran zu bringen. Vor allem brauchen wir den Ausbau der Windenergie in Bayern. Es ist Zeit die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es ist Zeit 10H endlich in die Tonne zu treten!

Video mit einem Statement von mir zu 10 Jahren Fukushima

In Verbindung stehende Artikel:

Im Dialog

©Foto: Manuel Schuller
©Foto: Manuel Schuller

Wirtschaft

Im ständigem Austausch mit den Unternehmer*innen in Bayern erfahre ich welche Fragen, Anregungen und Wünsche an die Politik gestellt werden und wie wir sie unterstützen können.

mehr dazu
©Foto: Andreas Gebert

Vor Ort

Wichtig ist mir mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, mit ihnen zu diskutieren und von ihnen Anregungen für meine parlamentarische Arbeit im Landtag mitzunehmen.

mehr dazu
Martin Stümpfig in Freuchtwangen
© Foto: Wolf Kehrstephan

Region

Ich bin in Feuchtwangen, im Landkreis Ansbach aufgewachsen – hier bin ich verwurzelt, hier achte ich darauf, dass die Interessen der Bürgerinnen und Bürger im Landtag vertreten sind .

mehr dazu

Das könnte Sie auch interessieren